Die deutsche Hanse
Im deutschsprachigen Raum entwickelt sich ein einzigartiges internationales Handelsnetzwerk ehrbarer Kaufleute mit Ehrenkodex. In ihren Handelsstädten entsteht ein starker Mittelstand mit neuem Selbstbewußtsein.
1. Hans in der Hansestadt

Er zieht seinen Mantel fester um die Schultern, während er durch das mächtige Stadttor tritt. Die Morgensonne taucht die Hansemetropole Lübeck in ein warmes Licht, und doch liegt eine kühle Brise vom Hafen in der Luft. Der Geruch von Salz, Teer und Fisch mischt sich mit dem süßen Duft frisch gebackenen Brotes aus den Bäckereien. Hans ist zum ersten Mal hier – in dieser geschäftigen Stadt der Hanse, deren Name er in den Handelskontoren seiner Heimat oft hört. Noch kennt er ihre Gassen nicht, ihre Märkte, ihre Menschen. Doch Hans ist jung, wissbegierig und voller Tatendrang. Heute wird der erste Tag seines neuen Lebens. Hans tritt auf den großen Marktplatz und bleibt staunend stehen. Vor ihm erstreckt sich ein weitläufiger Platz, gesäumt von prächtigen Giebelhäusern, deren bunte Fassaden und reich verzierte Erker von Wohlstand und Handel zeugen. Überall herrscht reges Treiben: Händler preisen lautstark ihre Waren an, Gesinde trägt Körbe voller Fisch, Obst und Gemüse, und zwischen all den Menschen bahnen sich Karren ihren Weg, beladen mit Säcken voller Getreide, Fässern mit Bier und Stapeln feinen Tuches. In der Mitte des Platzes steht der große Roland, eine steinerne Statue, die für das Stadtrecht und die Handelsfreiheit der Kaufleute steht. Um ihn herum versammeln sich Gruppen von Händlern, die sich in lebhaften Gesprächen über Warenpreise, Transportwege und Neuigkeiten aus anderen Hansestädten austauschen. Hans geht näher an einen Stand heran, an dem ein alter Kaufmann sorgfältig feine Pelze auslegt. „Reine Zobel aus Nowgorod”, verkündet er stolz. „Erst letzte Woche mit der Kogge angekommen!” Hans hört aufmerksam zu. Die Handelswege der Hanse erstrecken sich weit über die Stadt hinaus – von den fernen russischen Städten Nowgorod und Pskow, wo Pelze, Wachs und Honig gehandelt werden, bis zu den Märkten Brügges und Londons, wo feine Tuche, Färbemittel und Metallwaren begehrt sind. Der Norden liefert Stockfisch aus Bergen, Getreide kommt aus dem weiten Hinterland Pommerns und Preußens, während Salz – das „weiße Gold” – aus Lüneburg in die Städte gelangt, um Fisch haltbar zu machen. Die Kaufleute der Stadt sind nicht nur einfache Händler, sondern Teil eines weitreichenden Handelsnetzwerks, das über 90 Städte verbindet. Sie sichern ihre Interessen gemeinsam in der Hanse, die mit eigenen Schiffen, Handelsprivilegien und sogar bewaffneten Flotten dafür sorgt, dass ihre Waren sicher transportiert werden. Hans spürt, wie sein Herz schneller schlägt. Hier, auf diesem Marktplatz, treffen sich Kaufleute, Seefahrer und Boten aus ganz Europa. Hier werden Bündnisse geschmiedet, Preise ausgehandelt, Verträge geschlossen. Er lässt den Blick über die Menge schweifen. Ein junger Händler wie er hat viele Möglichkeiten – die Frage ist nur, wo er anfangen soll.
2. Die Arbeitsteilung zwischen den Hansestädten

Während Hans über den geschäftigen Marktplatz schlendert, fällt ihm auf, dass die Händler sich nicht nur über Preise streiten, sondern auch über die Herkunft ihrer Waren sprechen. Jede Stadt der Hanse hat ihre eigene Rolle im weit verzweigten Handelsnetzwerk, und genau diese Spezialisierung macht die Hanse so mächtig. Ein Kaufmann, der feine Stoffballen ausbreitet, preist stolz seine Ware an: „Echtes Lübecker Tuch, beste Qualität!” Hans weiß, dass Lübeck, als „Königin der Hanse”, nicht nur eine bedeutende Handelsmetropole ist, sondern auch für ihre Tuchmanufaktur bekannt ist. Die Stadt erhält Rohwolle aus England und Flandern, die von einheimischen Webern zu feinen Stoffen verarbeitet wird. Auch Brügge und Mechelen sind für ihre hochwertigen Tuche berühmt und beliefern den gesamten Hanseraum mit luxuriösen Stoffen. Ein paar Schritte weiter kommt Hans an einem Stand vorbei, an dem große Fässer mit leuchtend roten und blauen Farbstoffen stehen. „Edles Waidblau aus Thüringen und strahlendes Krapp-Rot aus Flandern!” ruft der Händler. Die Herstellung von Farbstoffen ist eine Kunst für sich: Waid, eine Pflanze, die tiefblauen Farbstoff liefert, wird besonders in Thüringen und Sachsen angebaut. Krapp, dessen Wurzeln ein intensives Rot ergeben, wird in den Niederlanden und in Westfalen verarbeitet. Ohne diese Farben wären die berühmten Stoffe der Hanse farblos geblieben. Am Rand des Marktes, nahe der Lagerhallen, stehen große Stapel frisch gehauener Balken und Planken. Ein Mann mit rußgeschwärzten Händen wiegt einen schweren Eisenanker ab. Hans erkennt sofort, was hier verkauft wird: Schiffbaumaterialien. „Bestes Eichenholz aus Danzig! Teer und Pech aus Riga!” schallt es durch die Luft. Städte wie Danzig, Reval (Tallinn) und Riga liefern nicht nur Holz, sondern auch Teer und Pech, die für den Schiffsbau unerlässlich sind. Ohne sie wären die Koggen der Hanse nicht hochseetauglich. Ein alter Händler, dessen Gesicht von vielen Seereisen gezeichnet ist, zeigt auf ein Fass mit grobem Salz. „Lüneburger Salz – das weiße Gold der Hanse!” ruft er. Hans weiß, dass Salz eine der wichtigsten Handelswaren ist. Lüneburg besitzt gewaltige Salinen, die die gesamte Hanse mit dem notwendigen Salz beliefern, um Fisch und Fleisch haltbar zu machen. Besonders Stockfisch aus Bergen in Norwegen wird mit diesem Salz konserviert und als proteinreiche Handelsware in alle Hansestädte verschifft. Während Hans all diese Waren betrachtet, wird ihm klar, wie durchdacht die Arbeitsteilung der Hanse ist. Jede Stadt hat ihre eigene Spezialität, und dieses komplexe System macht die Hanse stark. Hans nimmt die Geräusche, Gerüche und Farben des Marktes in sich auf. Die Hanse ist nicht nur ein Handelsnetz – sie ist ein gigantisches Räderwerk, in dem jede Stadt ein Zahnrad ist. Und er, Hans, will ein Teil davon werden.
3. Hans und die Farben der Freiheit

Wehende Röcke in den schönsten Farben. Hans kann seinen Blick nicht von den jungen Frauen abwenden, die über den Marktplatz spazieren. Ihre Kleider leuchten in kräftigem Rot, tiefem Blau und sattem Grün. Erstaunt erinnert er sich an seine Heimat, ein Dorf weit im Landesinneren. Dort ist es undenkbar, dass einfache Leute so bunte Gewänder tragen. Farben sind ein Privileg des Adels – selbst wohlhabende Bauern müssen sich mit einfachen, ungefärbten Stoffen begnügen. Hier, in der Hansestadt, scheint es anders zu sein. Er sieht Kaufmannstöchter, Handwerkerinnen und selbst Mägde in farbenfrohen Kleidern. Es ist ein Zeichen von Wohlstand und Freiheit. Hans versteht: In den Städten der Hanse zählt nicht die Geburt, sondern das, was man sich erarbeitet hat. Während er seinen Gedanken nachhängt, gesellt sich ein älterer Kaufmann zu ihm. Der Mann bemerkt Hans’ Blick und lächelt. „Faszinierend, nicht wahr? Die Farben, die Freiheit. Hier regieren Verträge, nicht die Launen eines Fürsten.” Hans sieht ihn neugierig an. „Wie kann das sein? In meiner Heimat könnte es sich ein Großbauer leisten, seine Tochter in Blau zu kleiden, aber es wäre ihm verboten.” Der Kaufmann nickt. „Das ist der Unterschied zwischen dem Land und der Stadt. Dort draußen regieren Ritter mit harter Hand. Wer nicht in ihre starren Vorstellungen von Stand und Ordnung passt, wird bestraft. Doch hier, in der Hanse, sind wir nicht ihren Gesetzen unterworfen. Wir haben unsere eigenen.”
Das Gerichtswesen in den Hansestädten – Recht statt Willkür
„Hier in der Stadt herrscht kein Fürst und kein Adeliger entscheidet nach Belieben über das Schicksal eines Bürgers”, erklärt der Kaufmann weiter. „Wir haben unsere Ratsherren, die aus den einflussreichsten Kaufleuten gewählt werden. Sie führen die Stadt, erlassen Gesetze und sprechen Recht – und zwar nach klaren Regeln, nicht nach Willkür.” Hans lauscht gespannt. „Aber was passiert, wenn jemand gegen das Recht verstößt?” Der Kaufmann schmunzelt. „Dann gibt es ein ordentliches Gericht. Jeder Bürger kann klagen – egal ob gegen einen anderen Händler, gegen einen Seemann oder sogar gegen einen Ratsherrn. Die Stadtgerichte arbeiten mit Verträgen, Beweisen und Zeugen, nicht mit der Faust oder dem Schwert.” Hans runzelt die Stirn. „Und wenn jemand einen anderen einfach überfällt, so wie es die Ritter auf dem Land tun?” Der Kaufmann lacht. „Dann wird er vor den Schöffengerichtshof gestellt. Raub, Betrug oder Gewalt werden hart bestraft. Aber nicht mit der Willkür eines Herrschers, sondern mit festen Strafen, die für jeden gelten – ob Kaufmann oder Tagelöhner.” Hans ist beeindruckt. Auf dem Land entscheidet ein Ritter nach Lust und Laune, wer Recht hat. Hier gibt es geschriebene Gesetze, Verträge, die gelten, selbst wenn es einem mächtigen Mann nicht passt.
Verträge statt Faustrecht – die Hanse als Bündnis des Rechts
„Die Hanse ist stark, weil sie auf Vertrauen beruht”, fährt der Kaufmann fort. „Ein Kaufmann in Lübeck muss sicher sein, dass sein Vertragspartner in Brügge sich an sein Wort hält. Deshalb haben wir überall Stadtsiegel und Notare. Kein Geschäft wird per Handschlag besiegelt – es wird schriftlich festgehalten. Wenn sich jemand nicht daran hält, kann er verklagt werden.” Hans begreift nun, dass die Hanse nicht nur ein Bündnis des Handels ist – sondern ein Bündnis des Rechts und der Ordnung. Kein Adeliger kann nach Belieben entscheiden, wer Gewinne macht und wer nicht. In den Hansestädten zählt das Gesetz, nicht die Geburt. Er lächelt. Vielleicht ist das der wahre Grund, warum die Kaufmannstöchter bunte Kleider tragen. Sie leben in einer Welt, in der Wohlstand durch Können und Fleiß erlangt wird – nicht durch den Adelstitel eines Vaters. „Die Stadtluft macht wirklich frei”, murmelt Hans. Der Kaufmann nickt zufrieden. „Genau. Und wenn du klug bist, junger Mann, wirst du bald lernen, wie man Verträge so schreibt, dass du niemals übervorteilt wirst. Willkommen in der Hanse!” Hans spürt, dass er genau am richtigen Ort ist. Hier kann ein Mann selbst über sein Schicksal entscheiden – und das ist mehr wert als jede Farbe.
4. Der Hafen – Herzstück des Hansehandels

Der Hafen mit einer Welle aus Geräuschen, Gerüchen und geschäftigem Treiben empfängt Hans. Masten ragen wie ein städtischer Wald in den Himmel, Taue knarren, und das Salzwasser schlägt in kleinen Wellen gegen die hölzernen Anleger. Überall sind Arbeiter beschäftigt: Männer rollen Fässer über die Planken, Träger schleppen Säcke mit Getreide, und Hafenaufseher notieren akribisch, welche Waren ein- und ausgeladen werden. Das mächtigste Schiff, das Hans je gesehen hat, liegt direkt vor ihm: eine Kogge, das Rückgrat des hanseatischen Handels.
Die Kogge – das Rückgrat des Hansehandels
Die Kogge ist das Symbol des Erfolgs der Hanse. Hans betrachtet das Schiff genauer. Ihr Rumpf ist breit und bauchig, ideal, um große Mengen an Waren zu transportieren. Der hohe Steven ragt weit über das Wasser hinaus und schützt das Deck vor Wellen und Angriffen. Ein einzelnes, riesiges Rahsegel dominiert den Mast und erlaubt es, auch mit kleiner Besatzung große Strecken zurückzulegen. Die Schiffe können bis zu 200 Tonnen Ladung aufnehmen – eine gewaltige Menge für die damalige Zeit. Die Koggen der Hanse segeln von Brügge nach Nowgorod, von London nach Bergen, über die raue Nordsee bis hinauf in die eisigen Gewässer des Baltikums. Sie transportieren Getreide, Pelze, Salz, Tuche, Gewürze und Metalle – all die Waren, die das Handelsnetz der Hanse verbinden. Doch dieser Reichtum macht die Schiffe der Hanse auch zu einem begehrten Ziel für Feinde.
5. Gefahren auf See – Piraten und gierige Herrscher

Hans lauscht einem alten Kapitän, der sich mit anderen Seefahrern unterhält. „Die Vitalienbrüder haben wieder zugeschlagen! Eine ganze Ladung Salz von Lüneburg ist verloren!” Die Vitalienbrüder, eine berüchtigte Piratengruppe, machen den Hansekaufleuten das Leben schwer. Ursprünglich als Freibeuter von König Albrecht von Schweden angeheuert, um gegen Dänemark zu kämpfen, haben sie sich bald verselbstständigt. Sie plündern Hansekoggen, versenken Schiffe und bedrohen die Handelswege der Hanse. Ein weiteres Problem ist, dass nicht nur Piraten, sondern auch mächtige Könige den Hansehandel ausbeuten. Ein Beispiel ist Erik von Pommern, der Anfang des 15. Jahrhunderts die dänische Krone innehat. Er erhebt hohe Zölle auf die Durchfahrt durch den Öresund, die wichtigste Wasserstraße zwischen Nord- und Ostsee. Kein Hansekaufmann kann nach Schweden oder Nowgorod segeln, ohne eine horrende Abgabe zu zahlen. Wer nicht zahlt, riskiert, dass seine Schiffe von dänischen Kriegsschiffen beschlagnahmt werden. Doch die Hanse ist nicht wehrlos.
6. Die Hanse schlägt zurück – der Wendische Städtebund und die Seekriege
Hans hört, wie ein erfahrener Kaufmann stolz berichtet: „Wir haben Erik besiegt! Unsere Koggen sind nicht wehrlos!” Als die Angriffe der Piraten überhandnehmen und König Erik von Pommern den Handel mit seinen Zöllen bedroht, schließen sich die Hanse-Städte zusammen. Die mächtigen wendischen Städte, allen voran Lübeck, Hamburg, Wismar, Rostock und Stralsund, rüsten eine eigene Kriegsflotte aus. Die Koggen werden mit Schießscharten ausgestattet, und viele Schiffe tragen nun bewaffnete Söldner an Bord. Im Jahr 1428 kommt es zur berühmten Seeschlacht von Kopenhagen, in der die Hanse eine dänische Flotte besiegt und Erik dazu zwingt, die hohen Zölle zu senken. Die Hanse kann es sich leisten, ganze Königreiche unter Druck zu setzen – ein Zeichen ihrer gewaltigen Macht. Auch die Piraten bleiben nicht verschont. Lübeck und Hamburg verbünden sich und organisieren regelrechte Jagden auf die Vitalienbrüder. Ihr berüchtigter Anführer Klaus Störtebeker wird schließlich in Hamburg gefangen genommen und hingerichtet.
7. Die Hanse und der Aufstieg des Mittelstandes

Der Hafen liegt nun im goldenen Licht der untergehenden Sonne. Hans lässt seinen Blick über die geschäftigen Kai-Anlagen schweifen, während er sich auf einem der mächtigen Holzstege niederlässt. Neben ihm sitzt ein Mann mittleren Alters, der mit kräftigen, schwieligen Händen ein Stück Brot bricht und einen tiefen Zug aus seinem ledernen Wasserschlauch nimmt. Der Mann bemerkt Hans’ Blick und grinst. „Neu in der Stadt?” Hans nickt. „Ja. Ich will lernen, wie der Handel funktioniert.” Der Mann lacht. „Dann bist du hier genau richtig. Die Hanse ist der beste Lehrmeister.” Er klopft auf ein Fass neben sich. „Weißt du, was hier drin ist?” Hans überlegt. „Getreide?” Der Mann schüttelt den Kopf. „Hopfen aus Bremen. Gutes Bier braucht guten Hopfen. Und Bremen liefert den besten.” Hans staunt. Überall in der Hanse haben Städte ihre eigene Rolle. Bremen für Hopfen, Lüneburg für Salz, Lübeck für Tuche. Doch was ihm jetzt klar wird: Es sind nicht mehr nur Adlige, die von diesem Reichtum profitieren – es sind Männer wie dieser hier. „Du scheinst viel über den Handel zu wissen”, bemerkt Hans. Der Mann lehnt sich zurück. „Ich bin Jens Olsson. Und vor zwanzig Jahren war ich ein armer Bauer in Mecklenburg, ein Leibeigener auf dem Land eines Ritters. Ich besaß nichts – nicht einmal meinen eigenen Namen. Doch eines Tages bin ich geflohen, nach Rostock. Dort habe ich für einen Kaufmann gearbeitet, erst als Tagelöhner, dann als Gehilfe. Irgendwann hat er mich auf eine Reise nach Lübeck mitgenommen. Dort habe ich verstanden, dass die Hanse nicht den Fürsten gehört – sie gehört uns Kaufleuten.” Hans horcht auf. „Die Städte der Hanse bieten Schutz für Leute wie mich”, fährt Jens fort. „Einmal in einer Stadt, einmal als Bürger aufgenommen – und kein Fürst, kein Ritter kann dich zurückholen. Sie nennen das: Stadtluft macht frei.” Hans hat davon gehört. In vielen Hansestädten gilt die Regel: Wer ein Jahr und einen Tag dort lebt, wird freier Bürger und kann nicht mehr von seinem alten Herrn zurückgefordert werden. „Die Hanse ist ein Bollwerk gegen die Ritter und Fürsten”, sagt Jens stolz. „Hier zählt nicht dein Blut, sondern dein Verstand, dein Fleiß. Die Kaufleute regieren die Städte selbst. Wir haben unsere Gilden und Zünfte, die über Löhne und Qualität wachen. Und wenn ein Fürst zu gierig wird und zu viele Zölle erhebt, dann schließen wir unsere Märkte für ihn – oder wir rüsten eine Flotte aus, um ihn daran zu erinnern, wer wirklich die Macht hat.” Hans sieht ihn nachdenklich an. „Haben das die Fürsten einfach so akzeptiert?” Jens lacht. „Natürlich nicht! Viele Ritter haben versucht, sich an uns zu bereichern. Manche haben Kaufleute überfallen, andere haben Straßen blockiert oder Brückenzölle erhoben. Aber wir Händler lassen uns nicht unterdrücken. Als die Ritter uns zu sehr bedrängten, haben sich die Städte zusammengeschlossen. In vielen Orten gibt es Bürgerwehren, die mit Armbrüsten und Spießen unsere Waren schützen. Und wenn es sein muss, dann greifen wir zu drastischeren Mitteln.” „Was meinst du?” fragt Hans. Jens grinst. „Hast du von der Schlacht bei Bornhöved gehört? Lübeck und andere Hansestädte haben sich mit den Bauern gegen den dänischen König gestellt und ihn besiegt. Wir haben gezeigt, dass wir nicht nur Geld zählen, sondern auch kämpfen können.” Hans ist beeindruckt. Diese Kaufleute sind keine einfachen Händler. Sie sind eine neue Klasse von Menschen – frei, selbstbewusst und mächtig genug, um sich gegen Adlige zu wehren. Jens legt ihm eine Hand auf die Schulter. „Wenn du wirklich Händler werden willst, Hans, dann vergiss eines nicht: Wir kämpfen nicht mit Schwertern, sondern mit Verträgen. Nicht mit Rüstungen, sondern mit Handel. Die Hanse ist unser Schutzschild. Solange wir zusammenhalten, kann uns kein König, kein Ritter und kein Pirat etwas anhaben.” Hans spürt eine tiefe Bewunderung für diesen Mann, der es aus dem Nichts zum freien Händler gebracht hat. Hier, in der Hanse, kann jeder seinen eigenen Weg gehen – und Hans weiß, dass seiner gerade erst begonnen hat.