Der Germane

Auf heutigem deutschsprachigen Gebiet lebten einst stolze germanische Stämme, freie Männer und Weiber mit ihren Kindern in Familien, Sippen und Stammesverbänden. In enger Verbundenheit mit ihrem Land, der Natur und ihren Göttern führten sie ein bodenständiges Leben. Sie bewahrten und verteidigten ihre Familien, ihre Freiheit und traditionelle Lebensweise. Ein Leben voll Stolz, Fleiß und Tapferkeit.

1. Im Schutz des Dorfes

Adalbert tritt mit festen Schritten aus dem Schatten des Waldes heraus. Die Äste der Buchen bieten ihm noch kühle Zuflucht, doch nun umfängt ihn der warme Duft des Spätsommers. Getrocknetes Heu liegt in der Luft, vermischt mit dem rauchigen Aroma der Herdfeuer und einem Hauch von nassem Holz. Er sieht den schmalen Weg, der sich den Hang hinunterzieht, gesäumt von blühendem Rainfarn und wuchernden Brombeerhecken. Am Ende des Pfades liegt das Dorf seines Onkels. Die Palisade erhebt sich vor ihm, aus kräftigen Eichenstämmen geschlagen, von Wind und Regen geschwärzt. Zwei Krieger stehen am Tor, Speere in der Hand, die Blicke wachsam, doch als sie Adalbert erkennen, hellen sich ihre Mienen auf. „Willkommen, Neffe des Eberhard”, ruft einer von ihnen und klopft ihm auf die Schulter. „Du bist lange nicht mehr hier gewesen.” Adalbert nickt und schreitet durch das Tor. Das Dorf breitet sich vor ihm aus – ein geordneter Wirrwarr aus Langhäusern mit strohgedeckten Dächern, kleinen Viehgehegen und hölzernen Vorratsspeichern, die auf Pfählen ruhen. Zwischen den Häusern eilen Frauen mit Körben, Kinder jagen einander kreischend nach, und irgendwo hört er das gleichmäßige Hämmern eines Schmiedes auf Ambossstahl. Sein erster Weg führt ihn zur Halle seines Onkels. Eberhards Haus steht auf einer leichten Anhöhe, größer als die anderen Gebäude, mit geschnitzten Balken, die die Taten der Ahnen erzählen. Der Geruch von geräuchertem Fleisch und Met strömt ihm entgegen, und als er eintritt, empfängt ihn das Knacken des großen Feuers in der Mitte des Raumes. „Adalbert!” Die Stimme seines Onkels ist laut und kräftig. Eberhard erhebt sich von seiner Bank und tritt ihm entgegen, ein Mann mit breiten Schultern und einem Bart, der von den Jahren gezeichnet ist. „Bei Wodan, es ist gut, dich zu sehen. Setz dich, iss und erzähl, was dich herführt!” Adalbert lässt sich nieder, nimmt das Trinkhorn entgegen, das ihm gereicht wird, und atmet tief durch. Ja, das hier ist seine Heimat.

2. Das Langhaus von Eberhard

Ein schweren Türvorhang aus Tierfell diente Tagsüber als Tür. Adalbert tritt über die Holzschwelle. Sofort umfängt ihn die wohlige Wärme des großen Feuers in der Mitte der Halle. Der Geruch von Rauch, feuchtem Holz und altem Schweiß hängt in der Luft – der vertraute Duft eines germanischen Langhauses, das Herzstück jedes Gehöfts. Sein Blick wandert durch den Raum. Die Halle ist lang und breit, aus kräftigen Eichenbalken errichtet, die mit geschnitzten Runen und Zeichen der Götter verziert sind. Das Dach ruht auf massiven Querbalken, die durch das beständige Feuer geschwärzt sind. An den Seitenwänden erstrecken sich breite Holzpritschen, mit Fellen und Stroh bedeckt – hier schlafen die Familie und manchmal auch Gäste oder Krieger, die auf Reisen sind. In der Mitte, unter der offenen Dachluke, prasselt das große Herdfeuer, das nicht nur Licht und Wärme spendet, sondern auch als Kochstelle dient. Darüber hängt ein eisernes Dreibein, an dem ein Kessel mit dampfendem Eintopf baumelt. Der Rauch zieht langsam nach oben, findet seinen Weg durch die schmalen Öffnungen unter dem Dachfirst, hinterlässt dabei jedoch eine rußige Schicht auf den Balken. Am hinteren Ende des Hauses, leicht abgetrennt durch aufgehängte Felle, liegt der Lagerraum. Dort stapeln sich Getreidesäcke, getrocknetes Fleisch und große Tonkrüge, gefüllt mit Met und Bier. Werkzeuge und Waffen lehnen an den Wänden: Schilde mit geschnitzten Wappen, Speere mit eisernen Spitzen, Äxte und einige Schwerter, die in den Händen der Ahnen so manchen Feind zu Fall gebracht haben. Ein leises Grunzen lässt Adalbert schmunzeln. Am anderen Ende der Halle, in einem abgetrennten Bereich, lagern einige Tiere – ein paar Ziegen, eine Handvoll Hühner und zwei kleine Ferkel. In den harten Wintern dürfen sie die Wärme des Hauses mit den Menschen teilen. Er schreitet weiter in die Halle hinein, wo sein Onkel Eberhard bereits auf seiner hölzernen Sitzbank thront, den Arm auf den Tisch gestützt. Die lange Tafel davor ist bedeckt mit Schalen aus Holz und Ton, gefüllt mit Brot, Käse und getrocknetem Obst. „Setz dich, Neffe!” ruft Eberhard und klopft mit seiner großen Hand auf das Holz. „Erzähl mir von deiner Reise – und iss! Ein Mann spricht besser mit vollem Magen.” Adalbert lässt sich auf die Bank sinken, nimmt einen Krug Met entgegen und lässt den Blick noch einmal durch das Langhaus wandern. Hier, in dieser Halle, wird gegessen, geschlafen, gefeiert und beraten – es ist mehr als nur ein Gebäude. Es ist der Mittelpunkt des Lebens.

3. Beim Schmied

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Meister der Waffenschmiede

Ein sanfter Wind trägt den Duft von feuchtem Holz und Kräutern heran, doch er wird rasch von einem anderen Geruch überdeckt – dem beißenden Aroma von Rauch, Ruß und geschmolzenem Eisen. Es führt Adalbert geradewegs zur Schmiede. Hinter einem massiven Holzschuppen, dessen Wände vom Ruß geschwärzt sind, lodert das Feuer der Esse. Glühende Funken tanzen in der Luft, als der Schmied mit bloßem Arm den schweren Schmiedehammer hebt und auf das glühende Eisen schlägt. Ein dumpfer Schlag folgt dem nächsten, das Geräusch hallt über den Hof. „Adalbert!” Der Schmied, ein breitschultriger Mann mit rußverschmiertem Gesicht und kräftigen Händen, nickt ihm zu, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. „Ich hörte, du bist zurück. Hast du deine Axt mitgebracht oder brauchst du eine neue?” Adalbert grinst. „Meine Axt ist noch scharf genug. Aber zeig mir, woran du gerade arbeitest.” Der Schmied lässt den Hammer sinken und dreht das Werkstück mit einer Zange. Das glühende Eisen ist noch formlos, doch Adalbert erkennt bereits die sich abzeichnende Klinge. „Ein Sax für Wulfgar”, erklärt der Schmied. „Er will eine kurze, breite Klinge, leicht genug, um sie schnell ziehen zu können. Ein guter Mann versteht, dass nicht nur das Schwert über den Sieg entscheidet.” Er taucht das rotglühende Eisen in einen Holzbottich mit Wasser. Ein Zischen erfüllt die Luft, und dichter Dampf steigt auf. Adalbert lehnt sich an einen der Pfosten der Schmiede und lässt den Blick über die Waffen schweifen, die an einer der Wände hängen. „Erzähl mir, Schmied. Welche Waffen entstehen in deiner Esse? Ich will wissen, womit unsere Krieger kämpfen.” Der Schmied lacht rau. „Womit kämpfen sie? Mit allem, was ihnen die Götter und meine Hände geben.” Er deutet auf die erste Waffe – ein Langschwert. „Das Spatha – für jene, die den Nahkampf beherrschen. Eine lange Klinge, zweischneidig, ideal für den Kampf Mann gegen Mann. Es schneidet Fleisch und zerbricht Knochen, aber nur ein guter Kämpfer kann es richtig führen.” Er zeigt auf eine kürzere, breite Klinge mit nur einer Schneide. „Der Sax – kürzer als das Schwert, aber ebenso tödlich. Jeder freie Mann trägt einen. Man kann damit schnitzen, jagen oder einem Feind die Kehle durchschneiden.” Dann hebt er eine Axt hoch, ihr Kopf glänzt frisch geschärft im Licht der Esse. „Die Franziska – eine Wurfaxt. Leicht, aber wenn sie trifft, durchbricht sie selbst einen Helm. Man wirft sie, bevor man in den Nahkampf geht. Viele Feinde haben nicht einmal Zeit, ihren Schild zu heben, bevor sie getroffen werden.” Er tritt zu einem Speer, der an der Wand lehnt. „Der Ger – der Stolz eines jeden germanischen Kriegers. Jeder Junge lernt zuerst mit dem Speer zu kämpfen. Er ist leicht, doch stark genug, um einen Feind auf Abstand zu halten. Wer einen Speer gut führt, braucht kein Schwert.” Adalbert nickt anerkennend. Er kennt all diese Waffen, doch es ist etwas anderes, sie aus der Hand des Mannes zu sehen, der sie schmiedet. „Und du, Adalbert?” fragt der Schmied schließlich. „Mit welcher Waffe wirst du kämpfen?” Adalbert legt eine Hand auf den Griff seines Sax. „Mit allem, was nötig ist.” Der Schmied grinst. „Gute Antwort.” Dann wendet er sich wieder seiner Arbeit zu, und das rhythmische Schlagen des Hammers erfüllt erneut die Schmiede.

4. Das Thing – Die Wahl des neuen Anführers

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Stammesversammlung freier Männer beim Thing

Onkel Eberhard schreitet über den Dorfplatz. Adalbert begleitet ihn. Die Stimmung ist gespannt, aufgeladen wie die Luft vor einem Gewitter. Männer und Frauen haben sich um den großen Thingplatz versammelt – eine Lichtung am Rand des Dorfes, umgeben von uralten Eichen, deren knorrige Äste sich wie schützende Arme über die Versammlung spannen. In der Mitte des Platzes steht der Heilstein, ein großer Findling, auf dem bereits unzählige Male Recht gesprochen worden ist. Heute dient er einem anderen Zweck: Der alte Anführer ist tot, und das Dorf braucht einen neuen. „Es war sein Schicksal”, murmelt Eberhard, als sie näher treten. „Er war ein guter Mann, doch sein Herz war schwach.” Adalbert nickt nur. Er hat den verstorbenen Anführer gekannt, einen erfahrenen Krieger und weisen Mann, der in Schlachten geführt und in Friedenszeiten für Ordnung gesorgt hat. Nun muss ein anderer seinen Platz einnehmen. Ein alter Mann mit grauem Bart, einer der Ältesten des Dorfes, tritt auf den Stein und hebt die Hände. Die Menge verstummt. „Unser Führer ist nicht mehr unter uns. Die Götter haben ihn zu sich gerufen, und wir stehen nun ohne einen Mann, der uns in Krieg und Frieden leitet. Doch wir sind freie Männer, und so soll es auch bleiben. Jeder, der glaubt, stark genug zu sein, unser Volk zu führen, soll vortreten.” Ein Murmeln geht durch die Reihen. Dann tritt der erste vor – ein hochgewachsener Mann mit wilder Mähne und breitem Brustkorb. Sein Name ist Sigmar, ein angesehener Krieger, der schon in mehreren Schlachten gekämpft hat. „Ich werde unser Volk führen! Ich kenne den Krieg, ich kenne die Feinde, die uns bedrohen. Wählt mich, und ich werde unsere Ländereien schützen!” ruft er mit fester Stimme. Kaum hat er seinen Platz eingenommen, tritt ein anderer hervor. Hagen, ein kluger Mann, der im Rat stets mit scharfem Verstand spricht. „Kraft allein macht keinen Anführer aus. Ein guter Herrscher braucht Weisheit und Gerechtigkeit. Ich werde unser Volk nicht nur mit der Klinge, sondern auch mit Worten und klugen Entscheidungen führen!” Dann tritt ein dritter hervor – Wulfram, der als großer Jäger bekannt ist. „Ein Anführer muss sein Volk ernähren können. Wenn der Winter kommt, ist kein Schwert so wertvoll wie eine volle Speisekammer!” Die Versammlung hört aufmerksam zu, während die drei Männer ihre Argumente vorbringen. Dann beginnen die Beratungen. Jeder freie Germane hat das Recht, seine Meinung zu äußern, und so sprechen die Alten, die Krieger, die Jäger und die Bauern. Als es Zeit ist, eine Entscheidung zu treffen, treten die freien Männer des Dorfes vor und schlagen mit ihren Waffen auf ihre Schilde – jeder für den, den er unterstützen will. Der Klang der Stimmen, das Rufen der Namen und das Klirren von Metall auf Holz erfüllen die Lichtung. Dann tritt der Älteste erneut auf den Heilstein. „Es ist entschieden. Sigmar wird unser Anführer sein!” Ein Jubel bricht aus, während Sigmar nach vorne tritt und sein Schwert in die Luft reckt. „Ich werde euch nicht enttäuschen!” ruft er. Adalbert beobachtet das Geschehen mit ernstem Blick. Die Wahl ist gefallen, doch die Zukunft wird zeigen, ob Sigmar der richtige Mann für die Aufgabe ist.

5. Der Händler und die Worte des Onkels

Die Sonne steht bereits tief über den Wipfeln der Eichen, als Adalbert mit verschränkten Armen am Rande des Dorfplatzes steht und den römischen Händler beobachtet. Der Mann, ein drahtiger Geselle mit dünner Nase und scharfem Blick, präsentiert seine Waren auf einem groben Wolltuch. Neben ihm glänzen bronzene Fibeln, Glasperlen und feine Tongefäße. In einer offenen Kiste liegen Klingen und Dolche aus römischer Schmiedekunst. Doch als er den Preis nennt, schütteln die Dorfbewohner die Köpfe. „Diese Waffen stammen aus den Schmieden Roms, gefertigt von den besten Meistern!” ruft der Händler mit erhobenen Armen. „Glaubt mir, Freunde, das ist Gold wert!” Eberhard, Adalberts Onkel, tritt vor und betrachtet die Waren mit skeptischem Blick. „Gold wert, sagst du?” Er nimmt eine bronzene Fibel in die Hand, dreht sie prüfend und schnaubt. „Diese Spange ist hübsch, aber nicht besser als das, was unser Schmied herstellt.” Der Händler verzieht das Gesicht zu einem gequälten Lächeln. „Nun, wenn ihr euch mit minderwertiger Ware zufriedengebt …” „Minderwertig?” ruft ein Bauer empört. „Unsere Schwerter haben römische Legionäre sterben sehen!” Der Händler hebt abwehrend die Hände. „Ich will euch nicht beleidigen, aber – nun, ihr baut eure Häuser aus Holz, nicht aus Stein. Ihr habt keine Straßen wie in Rom, keine Amphitheater, keine großen Städte. Ihr lebt einfach. Die Römer glauben … nun ja … dass ihr nicht mit ihnen zu vergleichen seid.” Adalbert ballt die Fäuste. „Sie glauben, wir seien dumm, weil wir in Holz leben statt in Stein?” Er wendet sich zu seinem Onkel. „Was hältst du davon?” Eberhard lacht trocken. „Dumm? Ist der Hirsch dumm, weil er im Wald lebt und nicht in einem Käfig?” Er tritt auf den Händler zu und sieht ihm fest in die Augen. „Du bist lange genug in germanischen Dörfern herumgereist, um es besser zu wissen. Aber ich werde es dir trotzdem sagen – und meinem Neffen gleich mit.” Er deutet auf das Dorf. „Wir brauchen keine gepflasterten Straßen, weil wir uns in unseren Wäldern auskennen wie die Wölfe …” Ein zufriedenes Murmeln geht durch die Menge. Adalbert spürt, wie Stolz in ihm aufsteigt. Unsere Krieger tragen keine schweren Rüstungen wie eure Legionäre – weil sie schnell sein müssen, tödlich und ungebunden.” Sein Blick wandert über die Männer und Frauen des Dorfes, die sich um die Szene versammelt haben. „Wir zeigen den Römern, dass ihre Mauern sie nicht vor uns schützen. Wir kämpfen nicht nach ihren Regeln, und genau das fürchten sie. Wir brauchen keinen Kaiser, der uns befiehlt, was wir zu tun haben. Jeder freie Mann hier kann seine Stimme erheben, wenn wir uns beim Thing versammeln.” Der Händler schweigt, sichtlich unwohl bei den vielen Blicken, die nun auf ihm ruhen. Eberhard fährt fort: „Die Römer mögen beeindruckende Bauwerke errichten. Aber was sind Steine gegen Mut? Gegen Freiheit? Wir sind keine Sklaven, die für einen Herrscher schuften. Wir sind keine Bauern, die sich vor Steuerbeamten fürchten. Wir leben, wie es unsere Ahnen taten – und wenn Rom fällt, werden unsere Dörfer immer noch hier sein.” Ein zufriedenes Murmeln geht durch die Menge. Adalbert spürt, wie Stolz in ihm aufsteigt. Er weiß, dass sein Volk nicht das schwächere ist – nur ein anderes. Der Händler schluckt und versucht, sein Lächeln zurückzugewinnen. „Nun … vielleicht kann ich die Preise etwas anpassen.” Eberhard grinst. „Das dachte ich mir.”

6. Die Rodung des neuen Feldes

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Harte Arbeit, Rodung, Ackerbau und Viehzucht

Adalbert stößt seine Axt mit Wucht in den Stamm der jungen Eiche. Holz splittert, und der dumpfe Schlag hallt durch den Wald. Schweiß rinnt ihm über die Stirn, und seine Arme brennen vom harten Tagwerk. Neben ihm arbeiten die anderen Männer des Dorfes, ihre Äxte und Haken messerscharf, ihre Körper gezeichnet von harter Arbeit. „Nicht schlecht für einen Krieger”, brummt Rudgar, ein kräftiger Bauer mit breiten Schultern und schwieligen Händen. Er lehnt sich auf seine Axt und wischt sich mit dem Unterarm über die Stirn. „Aber Bäume fällen ist nur der erste Schritt. Das wahre Werk beginnt erst danach.” Adalbert grinst und tritt einen Schritt zurück, um den nächsten Hieb zu setzen. „Ich dachte, ihr Bauern würdet den Boden einfach pflügen und säen.” Rudgar lacht rau. „Wenn es so einfach wäre, würde jeder von uns in Reichtum leben.” Er deutet auf die Wurzeln, die wie knorrige Arme aus der Erde ragen. „Bevor wir Getreide anbauen können, müssen wir die Wurzeln aus dem Boden reißen. Sonst bleibt der Boden hart und störrisch, und nichts wächst, außer Gestrüpp und Unkraut.” Die Männer packen die Seile, die sie um den verbliebenen Baumstumpf geschlungen haben. Mit lauten Rufen ziehen sie gemeinsam, während andere mit Spaten und Haken die Erde auflockern. Nach einem langen Ruck gibt der Wurzelstock nach, kippt aus dem Boden und lässt einen tiefen Krater zurück. „Nun gut, Adalbert”, sagt Rudgar und deutet auf die gerodete Fläche. „Hier wird bald Korn wachsen. Wir Germanen bauen vor allem Dinkel, Gerste und Emmer an – das Brot unseres Volkes.” Adalbert betrachtet die braune, aufgewühlte Erde. „Und was ist mit Gemüse? Ihr könnt doch nicht nur Brot essen.” Rudgar nickt. „Natürlich nicht. Wir pflanzen Erbsen, Bohnen, Rüben und Lauch. Auch Kohl ist gut für den Winter, weil man ihn einlegen kann. Aber das Wichtigste ist das Vieh. Ohne unsere Rinder, Schweine und Ziegen hätten wir keinen Mist, und ohne Mist wächst nichts.” Er hebt eine Handvoll Erde auf und reibt sie zwischen den Fingern. „Sieh dir den Boden an. Schwarz und feucht – das ist guter Boden. Aber wenn er erst einmal ausgelaugt ist, wächst hier nichts mehr. Deshalb lassen wir manche Felder brach liegen oder nutzen sie als Weide. Ein kluger Bauer wechselt seine Felder, sonst hungert sein Volk.” Adalbert nickt. Er ist ein Krieger, aber er versteht, dass ein Volk nicht nur mit Schwertern überlebt. Ohne Nahrung gibt es keinen Krieg, keine Siedlung, kein Leben. „Also, Krieger”, brummt Rudgar mit einem schiefen Grinsen. „Hast du noch Kraft für ein paar Wurzeln oder soll ich dir ein Lager aus Stroh bereiten?” Adalbert lacht, hebt die Axt und schlägt erneut zu.

7. Der Ruf des Spähers

Die Schneide der Axt dringt tief in das Holz, splittert die Rinde und lässt den Stamm erzittern. Adalbert wischt sich den Schweiß von der Stirn und holt erneut aus. Rings um ihn herum arbeiten die Männer des Dorfes daran, das neue Feld von Bäumen zu befreien. Rudgar hievt eine entwurzelte Esche zur Seite, während ein anderer Bauer mit einem schweren Spaten eine hartnäckige Wurzel freilegt. Dann hören sie es. Schnelle hastige Schritte, das Rascheln von Büschen. Plötzlich taucht ein Mann aus dem Wald auf – er atmet schwer, sein Gesicht ist mit Schweiß und Staub bedeckt. Es ist Haldric, einer der Späher des Dorfes. „Die Hunnen!” keucht er. „Ein Trupp hunnischer Reiter hat das Nachbardorf überfallen. Sie haben geplündert, gebrannt, gemordet. Sie folgen den Hohlwegen der Händler von Dorf zu Dorf. Sie werden bald hier sein!” Für einen Moment herrscht Stille. Dann wirft Rudgar seine Axt beiseite und greift nach dem Speer, der gegen einen Baumstamm lehnt. „Waffen!” ruft Eberhard. Die Bauern werfen ihre Werkzeuge fort und laufen den kurzen Weg zum Dorf. Ihre Äxte, Speere und Schilde stehen stets bereit – sie sind Bauern, ja, aber auch Krieger, wenn es nötig ist. Adalbert rennt neben seinem Onkel her und spürt, wie sein Herz wild schlägt. „Wir kämpfen, wie wir sind!” ruft Eberhard, während er seinen Helm aufsetzt. „Die Hunnen sind schnell – aber wir sind bereit!” Der Feind lässt nicht lange auf sich warten. Nur wenige Augenblicke später brechen sie aus dem Wald – dunkle Silhouetten auf schnellen Pferden, ihre Bögen gespannt, ihre Krummsäbel bereit. Doch die Germanen warten nicht auf den Angriff. Mit einem wilden Kampfschrei stürzen sie sich auf die Reiter. Speere fliegen, ein Pfeil surrt knapp an Adalberts Ohr vorbei. Ein hunnischer Krieger reißt sein Pferd herum, doch ein Bauer mit einer Wurfaxt ist schneller – die Klinge trifft den Reiter an der Brust und reißt ihn vom Sattel. Eberhard springt vor, sein Schild fängt den Hieb eines Krummsäbels ab. Dann treibt er seinen Speer tief in den Bauch des Angreifers. Der Kampf ist kurz, aber heftig. Die Hunnen haben nicht mit Gegenwehr gerechnet – sie sind gekommen, um ein leichtes Ziel zu überfallen, nicht um gegen Krieger zu kämpfen. Als die ersten von ihnen fallen, wenden die anderen ihre Pferde und fliehen zurück in den Wald. Eberhard steht schwer atmend zwischen den Leichen, sein Speer blutgetränkt. Er sieht sich um, dann lacht er rau. „So etwas können die Römer nicht”, sagt er und spuckt auf den Boden. „Wenn diese Bastarde ein Dorf überfallen, rennen die Leute zu ihren Mauern und beten, dass jemand sie rettet. Aber wir Germanen? Wir greifen zu den Waffen, wann immer es nötig ist. Wir sind keine Sklaven, die um ihr Leben flehen. Wir kämpfen – und wir überleben.” Adalbert sieht sich um. Ja, sie haben gesiegt. Und ja, sie sind freie Männer. Germanen warten nicht auf den Tod. Sie machen sich bereit – und stehen ihm gegenüber.